freitag, 22. oktober 2021
10:00 – 13:00 uhr
lvr-landesmuseum
HÖREN DURCH MEDIEN
Vorträge
Sandra Müller, Biologin (DE)
Soundscapes: Über die akustische Signatur der Natur
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Jeder Lebensraum hat seine eigene akustische Signatur. Die Kommunikation zwischen verschiedenen Individuen einer Art, die Interaktionen zwischen Arten und das Zusammenspiel von Geräuschen und Klängen der unbelebten Umwelt hinterlassen hörbare Spuren in der Umwelt. So lassen sich aus der Analyse dieser Soundscapes eine Vielzahl an Informationen über ein Habitat ablesen, etwa die Zusammensetzung der vokalisierenden Artengemeinschaft, Tages- und Jahreszeiten, Vegetationszonen, Landschaftsstruktur und Landnutzung. Auch Veränderungen im Zuge von Artenverlust und Klimawandel sind akustisch nachweisbar.
Im Rahmen unserer Untersuchungen konnten wir darstellen, dass die akustische Komposition von Grünlandflächen direkt von der Zusammensetzung der Vogelgemeinschaft, der Insektenvielfalt und bestimmten Landschaftselementen beeinflusst wird. Darüber hinaus lässt sich ein indirekter Zusammenhang zur Intensität der Grünlandnutzung nachweisen. In einer anderen Studie untersuchten wir den Zusammenhang zwischen akustischer Vielfalt und der Größe von Waldinseln in einer Agrarlandschaft und konnten feststellen, dass mit zunehmender Größe der Waldinseln und größerer Vielfalt der Waldstruktur auch die akustische Diversität ansteigt.
Edwin van der Heide, Klangkünstler (NL)
Klang im Raum – Raum im Klang
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In meinem Vortrag werde ich den Klang, sein Verhalten im Raum und seine Interaktion mit dem Raum aus verschiedenen spielerischen Perspektiven behandeln. Ausgehend von der Schallquelle wird zwischen Luftschall, Körperschall und ohrgetragenem Schall unterschieden. Dann wird die Schallausbreitung in verschiedenen Medien und unterschiedlichen räumlichen Dimensionen thematisiert, einschließlich räumlicher Interferenzmuster (stehende Wellen). Ein weiteres Thema ist die Vermittlung von Klang und Raum. Was sind die Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen einem Instrument und einem Lautsprecher? Welche unterschiedlichen Rollen kann ein Lautsprecher spielen und welche nicht? Warum glauben wir, dass ein Lautsprecher nicht nur jede Art von Klang, sondern auch jede Art von Raum und jede Anzahl von Klangquellen in diesem Raum (re-)produzieren kann? Die Präsentation endet mit dem immerwährenden Traum vom virtuellen akustischen Raum.
Jens Gerrit Papenburg, Musikwissenschaftler (DE)
Soundfile-Hören: Zukunft, Zeiterfahrung, Bewirtschaftung
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Nicht nur Kunst, Musikwissenschaft und Sound Studies interessieren sich für das Musikhören. Auch die seit einigen Jahren boomenden Streaming-Plattformen. Im Soundfile-Hören wird Musikhören technisiert und bewirtschaftet. Musikhören begegnet uns hier nicht nur als Kunst (Gay 1997, Thorau/Ziemer 2019) oder kulturelle Praxis (Bijsterveld/Dijck 2009, Samuels et al 2010), sondern zunehmend auch als ökonomisches Problem, als algorithmisch bewirtschaftet sowie als kulturell verfasste Technik und Technologie. Im Soundfile-Hören definieren riesige Musikkataloge das, was überhaupt hörbar ist. Playlisten weisen, häufig personalisierte, Wege durch diese Kataloge. Diese Wege können dann in konkreten Hörsituationen aktualisiert werden und Klänge des Soundfiles in diesen ein fine-tuning durch Apps und Kopfhörer erhalten. Schließlich wird im Soundfile-Hören Musikhören als „soziales“ Ereignis bestimmt, wobei „sozial“ sich hier in erster Linie auf das Soziale so genannter sozialer Medien bezieht.
In meinem Vortrag will ich diese Konturierungen des Soundfile-Hörens genauer nachzeichnen, indem ich zeige, wie im Soundfile-Hören Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft auf komplexe Art und Weise miteinander verbunden sind. Lässt sich am Soundfile-Hören eine für digitale Medienkultur charakteristische Form der Zeiterfahrung untersuchen? Eine Zeiterfahrung, in der Zukunft als Vergangenheitsbezug erscheint und die durch einen Verlust von Teleologie gekennzeichnet ist?
Gespräch mit Edwin van der Heide, Sandra Müller und Maia Urstad
Moderation: Raoul Mörchen
freitag, 22. oktober 2021
15:00 – 18:00 uhr
lvr-landesmuseum
RÄUME HÖREN
Vorträge
Linda-Ruth Salter, Sozialwissenschaftlerin (US)
Was wir hören und warum das wichtig ist
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Alle Lebewesen besitzen Sinnesorgane, die den Organismus mit der Welt verbinden, in der er existiert. Wenn etwas diese Verbindung zwischen einem Organismus und seiner Umwelt unterbricht, wird die Lebensqualität des Organismus, möglicherweise sogar sein Überleben als Ganzes, in Frage gestellt. Eines der wichtigsten Sinnesorgane des Homo sapiens ist das Hörsystem. Mit Hilfe akustischer Informationen können wir unsere physische, kulturelle und psychische Umgebung erfahren. Sie ermöglichen es uns, ein kognitives Verständnis davon zu entwickeln, wo wir sind und wer wir sind, und unsere Handlungsentscheidungen in unserem physischen und soziokulturellen Umfeld zu steuern. In diesem Beitrag werden mehrere Beispiele vorgestellt für signifikante klangliche Verbindungen zu den unterschiedlichen Umfeldern, in denen wir leben, darunter: Sprache, klangliche Wahrnehmung von Ereignissen, die Fähigkeit, Schall zur räumlichen und kulturellen Verortung zu nutzen, die Verwendung von Schall bei der Inanspruchnahme von Territorium, die Wirkung von Schall auf Emotionen und die Varianz unter und innerhalb von Hörern bei der Bewertung von Schall als Lärm. Das Verständnis der vielen Rollen, die Klang spielt, um uns in die Lage zu versetzen, uns räumlich, kulturell und interpersonell mit den Welten, in denen wir leben, zu verbinden, ist entscheidend für die Planung und Schaffung von menschenzentrierten Entwürfen, die deren Nutzer dabei unterstützen, in einem uns angenehmen Umfeld zu leben.
Joseph Clarke, Architekturhistoriker (US)
Ear Building. Zuhören durch moderne Architektur
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Das Studium der europäischen Architektur hat sich zumeist darauf konzentriert, wie Gebäude aussehen und wie sie die visuelle Erfahrung bestimmen. Doch es gibt eine Parallelgeschichte – wenn auch eine, die leicht aus dem Blick gerät – von modernen Gebäuden, die um das Hören herum entworfen und in einigen Fällen sogar dem menschlichen Ohr nachempfunden wurden. Die akustischen Experimente der Architekten sind deshalb so wichtig, weil sie eine gründliche Erforschung der räumlichen Dimension des Hörens mit sich brachten und dadurch der modernen Kultur einen kulturellen Rahmen für die Vorstellung von Klang als raumfüllendem Phänomen lieferten. Dieser Aufsatz untersucht die verborgene Geschichte der Architektur, die dem Hörorgan nachempfunden ist. Besonders bedeutsam waren Form und Funktion des Ohrs in den frühen »echotektonischen« Akustiktheorien von Athanasius Kircher, in deutschen Entwürfen für Aufführungssäle zur Zeit Beethovens und in Le Corbusiers Bemühen, architektonische Vorstellungen von Form und Raum mit den dislozierenden Tendenzen elektronischer Klangmedien in Übereinstimmung zu bringen. Über diesen historischen Bogen hinweg ging es bei den architektonischen Experimenten nicht nur um das praktische Ziel, Klang von einem Ort zum anderen zu übertragen, sondern auch um den ästhetischen Imperativ, ungewohnte, verstörende und aufregende Hörerlebnisse zu erzeugen.
Bernhard Leitner, Ton-Raum-Künstler (AT)
Vermessen. Sehen und Hören
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Auge und Ohr vermessen Räume – in sehr unterschiedlicher Weise. Das Auge liest Größe, Maßstab, Licht, Material eines Raumes. Das Ohr liest vielschichtiger, es kann mehrere Höhen und Breiten gleichzeitig vermessen, seine Räume sind vor allem immer Zeit-Räume.
Deckenmalerei erweitert den visuellen Raum. Ein barockes Kuppelfresko öffnet den Blick in einen anderen Raum, meist in eine mythologische Welt. Trotz Posaunen und Trompeten im Bild, bleibt der Blick nach oben stumm. Ein einziger Ton belebt die Kuppel, spielt mit der Form ihrer eigenen Resonanz. Erstmals in der Geschichte der Architektur kann mit elektroakustischer Gestaltung das Hören von Form und Zeit architektonischer Räume exakt bearbeitet werden.
Als Beispiel dient u.a. meine Arbeit KLANGACHSEN für die Kollegienkirche in Salzburg mit zwei Klangquellen, eine im Vierungsmosaik, eine zweite in der Kuppel. Der fünfzig Meter hohe, zylinderartige vertikale Raum über der Vierung wird durch einen aufsteigenden Posaunenstoß hörbar gestaltet. Der Klang schwillt in der Kuppel kräftig an, entgrenzt so die sichtbare Form, wobei die Nachhallzeit von den natürlichen sieben Sekunden künstlich auf über vierzig Sekunden gedehnt wird. Dieser lange Nachhall der Kuppel wird in das Mosaik am Kirchenboden abgesenkt, um wiederum als vertikale Klangachse aufzusteigen. Das vertikale Raum-Vermessen durch Bewegung wird in der Raum-Gestaltung dadurch erweitert, dass Mosaik und Kuppel gleichzeitig durch Klang sinnlich verortet werden. Wie feste Grenzen für das Hören eines akustischen Vertikal-Raumes.
Gespräch mit Joseph Clarke, Bernhard Leitner und Holger Schulze
Moderation: Niall Atkinson
freitag, 22. oktober 2021
20:00 – 22:00 uhr
zentrifuge bonn (im haus der luft- und raumfahrt)
godesberger allee 70, 53175 bonn
HEARING & LISTENING – konzert / sound performances
wolfgang mitterer “für compton-orgel und live-electronics“
akio suzuki „wave quartett” klanginstallation, gespielt von max eastley
christina kubisch “fluid landscapes” vier-kanal-komposition
stefan rummel “audiokassetten, kassettenhüllen, magnetbänder, walkman, buntstifte, telefonlautsprecher, silikon“ solo klangperformance
maia urstad “meanwhile in shanghai…“ vier-kanal-remix
gordon monahan “boiling water“ klangperformance
bill fontana “harmonic time travel“ vier-kanal-komposition
max eastley “variations for a single string” solo performance
erwin stache “selbstgebaute instrumente und objekte“ solo klangperformance
dirk specht: tontechnik + klangregie
dirk ufermann: bühnentechnik
friday, 22 october 2021
10 am – 1 pm
lvr-landesmuseum
LISTENING THROUGH MEDIA
Lectures
Sandra Müller, biologist (DE)
About the acoustic signature of nature
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Every habitat has its own acoustic signature. The communication between different individuals of a species, the interactions between species and the interplay of noises and sounds of the inanimate environment leave audible traces in the environment. Thus, the analysis of soundscapes provides a wealth of information about a habitat, such as the composition of the vocalizing species community, times of day and seasons, vegetation zones, landscape structure and land use. Changes in the course of species loss and climate change are also acoustically detectable.
In the course of our investigations we were able to show that the acoustic composition of grassland areas is directly influenced by the composition of the bird community, insect diversity and certain landscape elements. Furthermore, an indirect relationship to the intensity of grassland use can be demonstrated. In another study we investigated the relationship between acoustic diversity and the size of forest islands in an agricultural landscape and found out that with increasing size of forest islands and greater diversity of forest structure, acoustic diversity also increases.
Edwin van der Heide, sound artist (NL)
Sound in Space – Space in Sound
more
In my presentation I will address sound and its behaviour in, and its interaction with, space from different playful perspectives. Starting from the sound source, distinctions are made between air-born sound, structure-born sound and ear-born sound. Then, sound propagation in different media and different spatial dimensionalities is being addressed, including spatial interference patterns (standing waves). Another topic is the mediation of sound and space. What are the similarities and differences between an instrument and a loudspeaker? What are the different roles a loudspeaker can, and cannot, play? How come we believe that a loudspeaker can (re)produce not only any kind of sound but also any kind of space and any number of sound sources in that space? The presentation ends with the everlasting dream of the virtual acoustic space.
Jens Gerrit Papenburg, musicologist (DE)
Soundfile Listening: Future, Experience of Time, Management
more
Not only art, musicology and sound studies are interested in listening to music but also streaming platforms that have been booming for some years now. In sound file listening, listening to music is both engineered and managed. We encounter music listening not only as art (Gay 1997, Thorau/Ziemer 2019) or cultural practice (Bijsterveld/Dijck 2009, Samuels et al 2010), but increasingly also as an economic problem, as algorithmically managed as well as a culturally composed technique and technology. In sound file listening, huge music catalogues define what is audible at all. Playlists show, often personalized, paths through these catalogues. These paths can then be updated in concrete listening situations and the sound of the sound file can be fine-tuned by apps and headphones. Finally, in sound file listening, music listening is determined as a “social” event, whereby “social” here refers primarily to the social aspect of so-called social media.
In my lecture I will trace these contours of sound file listening more closely by showing how past, present and future are connected in a complex way in sound file listening. Can sound file listening be used to investigate a form of time experience characteristic of digital media culture? A time experience in which the future appears as a reference to the past and which is characterized by a loss of teleology?
Conversation with Edwin van der Heide, Sandra Müller and Maia Urstad
Moderation: Raoul Mörchen
friday, 22 october 2021
3 pm – 6 pm
lvr-landesmuseum
HEARING SPACES
lectures
Linda-Ruth Salter, social scientist (US)
What Are You Hearing? and Why is it Important?
more
All living beings possess sensory organs that connect the organism to the world in which it exists. When something interrupts this connection between an organism and its environment, the organism’s quality of life, even possibly its basic survival, is challenged. One of the most important sensory organs for Homo sapiens is our hearing system. Auditory data enable us to know our physical, cultural and psychological surroundings. They enable us to form a cognitive understanding of where we are and who we are, and direct our choices for action in our physical and socio-cultural environments. This paper will present several examples of significant sonic connections to our various environments, including: speech, sonic awareness of events, ability to use sound to achieve spatial and cultural location, the use of sound in claiming territory, the effect of sound on emotions, and the diversity among and within listeners in evaluating sound as noise. Understanding the many roles played by sound in enabling humans to connect spatially, culturally and interpersonally to the worlds in which we live is crucial in planning and creating human-centered designs that support users in achieving gratifying environments.
Joseph Clarke, architectural historian (US)
The Architect’s Ear: Listening Through Modern Architecture.
more
The study of European architecture has often focused on how buildings look and how they shape visual experience. Yet there is a parallel history—albeit one that easily slips out of view—of modern buildings designed around hearing and even, in some cases, patterned on the human ear. Architects’ acoustic experimentation is important because it has entailed rigorous inquiry into the spatial dimension of hearing, and has thereby provided modern culture with a cultural framework for conceiving sound as a space-filling phenomenon. This essay examines the obscure history of architecture modelled on the organ of hearing. The form and function of the ear were especially significant factors in the early “echotectonic” acoustic theories of Athanasius Kircher, in German designs for performance halls in the era of Beethoven, and in Le Corbusier’s struggle to reconcile architectural ideas of form and space with the dislocating tendencies of electronic sound media. Across this historical arc, architectural experimentation was concerned not only with the practical objective of transmitting sound from one location to another, but also with the aesthetic imperative of producing unfamiliar, disturbing, and thrilling auditory experiences.
Bernhard Leitner, sound space artist (AT)
To Measure, See and Hear
more
Eye and ear measure spaces – in very different ways. The eye reads size, scale, light, material of a space. The ear reads more complex, it can measure several heights and widths at the same time, its spaces are above all always time-spaces.
Ceiling painting extends the visual space. A baroque fresco in a cupola opens the view into another space, usually into a mythological world. Despite trombones and trumpets in the picture, the view upwards remains silent. A single tone animates the cupola, plays with the form of its resonance. For the first time in the history of architecture, electro-acoustic design can be used to shape and transform the hearing of form and time of architectural spaces.
One example is my work KLANGACHSEN for the Kollegienkirche in Salzburg with two sound sources, one in the mosaic of the crossing, a second one in the cupola. The cylinder-like vertical space above the crossing, fifty meters high, is made audible by a rising blow of a trombone. The sound swells strongly in the cupola, thus delimiting the visible form, whereby the reverberation time is artificially extended from the natural seven seconds to over forty seconds. This long reverberation of the cupola is brought down to the mosaic on the church floor in order to rise up again as a vertical sound axis. The vertical measuring of space through moving sounds is extended in the design of the space by the fact that the mosaic and the cupola are linked and listened to together. Like fixed boundaries for the hearing of an acoustic vertical space.
Conversation with Joseph Clarke, Bernhard Leitner and Holger Schulze
Moderation: Niall Atkinson
friday, 22 october 2021
8 pm – 10 pm
zentrifuge bonn (haus der luft- und raumfahrt)
godesberger allee 70, 53175 bonn
HEARING & LISTENING – concert / sound performances
wolfgang mitterer “for compton organ and live electronics”
akio suzuki „wave quartett” sound installation, played by max eastley
christina kubisch “fluid landscapes” four-channel composition
stefan rummel “audio cassettes, cassette cases, magnetic tapes, walkman, crayons, telephone speakers, silicone” solo sound performance
maia urstad “meanwhile in shanghai…“ four-channel remix
gordon monahan “boiling water“ sound performance
bill fontana “harmonic time travel“ four-channel composition
max eastley “variations for a single string” solo performance
erwin stache “selfmade instruments and objects“ solo sound performance
dirk specht: sound engineering + sound direction
dirk ufermann: stage engineering