Anfang September

Halbzeit. Endzeit. Finale. Es geht schneller als erwartet. Schon gibt es “letzte Male”: das letzte Stadtklangforum mit einem wunderbarem Vortrag von Kurt Wettengl (Die Erkundung des Raumes – Von der Rheinischen Ideallandschaft zum Bonner Klangraum), das letzte Treffen mit den Studenten der Alanus Hochschule bei der Vernissage unserer workshop Ausstellung “Sonotopia”, die letzte Schifffahrt nach dem Sommerfahrplan, ein letztes Mal auf den warmen Sandbänken des Rheins sitzen.

Zeit für Gedichte von Trakl und Rilke, die Herbstdichter. Zeit, sich vor allem um die finale Arbeit zu kümmern. Das Konzept steht inzwischen, der Titel „Rheinklänge“ auch. Alles andere ist jetzt Umsetzung. Diese Phase ist immer die Schwierigste. Man hat ein Konzept, eine intuitive Vorstellung des Ganzen, ein Ziel. Aber bevor man ankommt, geht es mit nur kleinen Schritten vorwärts. Meine Mitarbeiter Markus Oppenländer, Eckehard Güther und Dipl. Ing. Manfred Fox senden sich kryptische Botschaften, die meine Unterwasserforschungen betreffen: “denke die eingeschlossene Luft ist zu vernachlässigen … die Verbindung aus Stahl und Kunststoff scheint mir doch sehr kompakt und eher wenig anfällig für Körperschall … mit seinem Gewinde direkt mit dem Ende des Schlauches wasserdicht verschrauben … sicherlich wäre ein ausgewachsener Equalizer eine nette Bereicherung im Vergleich zur 3-Band-Einstellung im Mixer … damit liegt man bei netten 0,5 Volt Signalspannung, bevor das Clipping einsetzt … könnte man jetzt noch einen weiteren Diodenbegrenzer direkt an den Eingang schalten” etc. etc.
Aber letztendlich muß man eben doch an den Rhein gehen und testen.

Wir treffen uns mehrmals und hören den Schiffen zu, probieren die verschiedensten Unterwasserpositionen für die Mikrofone aus, sind beeindruckt von der Fließgeschwindigkeit des Wassers und nehmen uns vor, uns beim nächsten Mal wärmer anzuziehen. An erstaunlichsten ist für mich, obwohl ich schon viele Arbeiten im Aussenraum gemacht habe, wie sehr die reale Klanglandschaft die künstliche beeinflusst. Das Arbeiten im Elfenbeinturm des Studios ist sinnlos, wenn man die Ergebnisse nicht sofort vor Ort testet. Es ist windig am Rhein, es gibt Geräusche, die ich vorher noch nie wahrgenommen hatte, weil wir jetzt in einer anderen Jahreszeit sind. Die klangliche Natur des Rheins ist die einer ständigen Verwandlung und ich kann nur hoffen, mit meiner Intervention eine Lücke zu finden, die etwas ausfüllt, was es dort sonst nicht gibt. Tiere suchen sich in der Natur für ihre Gesänge und Signale die Frequenzen aus, die nicht “besetzt” sind von anderen Wesen. Aber der Rhein und seine Ufer sind ein komplexes Geflecht von akustischen Ereignissen, die nicht vorraussehbar sind. Der Aussenraum ist für den (Klang)künstler eine nie endende Herausforderung.

Zum Glück habe ich Unterstützung auf vielen Ebenen.
Carsten Seiffarth macht als Kurator die notwendigen Treffen mit den Verantwortlichen der Stadt, der Autobahnmeisterei, der Schifffahrtsgesellschaft etc. aus, verhandelt, schreibt Briefe und leistet bewährte Überzeugungsarbeit. Parallele dazu teste ich Lautsprecher und ihre Positionen am Rheinufer. Es wird immer komplexer, je näher man zum Ziel kommt. Die vielen Möglichkeiten lassen oft nur eine Lösung zu: kill your baby! Weglassen, vereinfachen, sich auf das Wesentliche konzentrieren. Dazu kommt das business as usual: Die Presse muß informiert werden, Daten werden festgelegt und angekündigt, es werden Einladungen entworfen, es müssen für die Anträge Texte geschrieben werden, Materialkosten verglichen, Bestellungen gemacht werden. Es gibt handwerkliche Spezialanfertigungen für ungewöhnliche Halterungen und Schutzvorrichtungen des Equipments und Sicherheitsvorrichtungen, man muß die Zeiten der Sonnenaufgänge und Sonnenuntergänge für ein ganzes Jahr ermitteln, wie klingt eigentlich noch der Akkord vom Rheingold? Und immer wieder dieser Satz: “Ich bin schon sehr gespannt!”

Da hilft es manchmal, sich wieder den Herbstgedichten zuzuwenden, um nicht den Kontakt zur künstlerischen Wirklichkeit zu verlieren vor lauter Betriebsamkeit. Bei Trakls “Herbst des Einsamen” rauscht nur ein Rohr, aber das klingt besser als viele Stellen von Wagner.

Der Herbst des Einsamen

Der dunkle Herbst kehrt ein voll Frucht und Fülle.
Vergilbter Glanz von schönen Sommertagen.
Ein reines Blau tritt aus verfallner Hülle;
Der Flug der Vögel tönt von alten Sagen.
Gekeltert ist der Wein, die milde Stille
Erfüllt von leiser Antwort dunkler Fragen.

Und hier und dort ein Kreuz auf ödem Hügel;
Im roten Wald verliert sich eine Herde.
Die Wolke wandert übern Weiherspiegel;
Es ruht des Landmanns ruhige Gebärde.
Sehr leise rührt des Abends blauer Flügel
Ein Dach von dürrem Stroh, die schwarze Erde.

Bald nisten Sterne in des Müden Brauen;
In kühle Stuben kehrt ein still Bescheiden
Und Engel treten leise aus den blauen
Augen der Liebenden, die sanfter leiden.
Es rauscht das Rohr; anfällt ein knöchern Grauen,
Wenn schwarz der Tau tropft von den kahlen Weiden.

Georg Trakl
(1887 – 1914)