Sommer am Rhein

Der Rhein ist nicht mehr der unheimliche Strom, der über die von Menschen gesetzten Ufer tritt, sondern ein freundlicher Fluß, der plötzlich kleine Halbinseln aus Kies und Stein und sogar schmale Sandstreifen freigibt. Und alle kommen zu ihm, es ist endlich Sommer. Es wird gejoggt, geradelt, gelaufen und nordisch gewalkt, was das Zeug hält. Am Ufer sitzen Mütter mit nackten Kindern, verschleierte Frauen mit Begleitern, kichernde Mädchen, einsame Dichter und Denker, Verliebte, Streitende, Sonnenbadende, Touristen, Angler, Sportler, Musiker etc. Man liest, schreibt, zeichnet, singt, fotografiert, massiert sich gegenseitig den Nacken, schläft, kifft, unterhält sich, meditiert oder schaut einfach in die Landschaft. Der Rhein ist großzügig, sogar die Hunde dürfen jetzt in seinem Wasser baden, ohne fortgerissen zu werden.

Ich mache mich ebenfalls auf zum Rheinufer, zwei neue Hydrophone (Unterwassermikrophone) im Gepäck. Erste wichtige Erfahrungen: man braucht keine Stative, aber festes Schuhwerk, Standhaftigkeit, Handtücher, Regenjacke (immer!) und sehr gut koordinierte Bewegungsabläufe, damit man nicht hoffnunglos jeweils neun Meter Kabel um sich schlingt, wenn man die Mikros mit Schwung ins Wasser wirft.
Was ich endlich höre, als die Hydros nach einigen Versuchen und unfreiwilligen Abrutschern ins Wasser endlich frei im Wasser schwimmen, ist für mich eine große Überraschung. Man hört im Strom kein Wasserplätschern oder Gurgeln, sondern tieffrequente durchlaufende, sich von einer Seite zur anderen bewegende rhythmische und dröhnende Geräusche. Die Schiffsmotoren pflanzen sich unter Wasser mit einer ganz anderen Schallgeschwindigkeit fort als in der Luft. Man hört die Schiffe, bevor man sie sieht und man hört sie noch in weiter Ferne. Die Fähren und Ausflugsschiffe verströmen gemächlich und gleichmässig ihre Maschinengeräusche. Kleine Motorboote lassen schlagartig den Aufnahmepegel hochschnellen. Die großen alten Lastkähne sind am lautesten und wühlen sich standhaft unter der Wasseroberfläche vorwärts.

Nach einiger Zeit kann ich das jeweilige Schiff, das ich höre, mit geschlossenen Augen vor mir sehen.
Eine Frau, die auf die Fähre wartet und mich beobachtet, wie ich an meinen beiden Hydrophonkabeln ziehe wie ein Kutscher die Pferdeleinen, fragt mich, ob ich die Fische abhören will. Ich frage mich, was die Fische eigentlich da unten hören…
Die glatte schöne Oberfläche des Rheins ist wie eine Haut, die die unterirdischen Pulsationen bedeckt und versteckt. Das Unsichtbare und Unhörbare sicht- und hörbar zu machen, ist die Aufgabe, die ich mir jetzt mit Klarheit für meine finale Arbeit stelle. Das bezieht sich auch auf den Blick in die Landschaft.
Ich finde zwei sich am Ufer gegenüberliegende Installationsorte, jeweils ungefähr am Ende der Rheinauen. Der Blick von der Bonner Seite geht in eine friedliche grüne Landschaft mit der dahinterliegenden Silhouette der Drachenburg. Fast versteckt dahinter liegt der Campus der Telekom. Schräg gegenüber, von Beuel aus, blicke ich auf den zeitgenössischen Turm, der die Landschaft beherrscht: der Post Tower strahlt glänzend im Abendlicht, die Angler am Ufer wirken klein und verloren wie in den Bildern von Caspar David Friedrich.

Ich stelle mir vor, Klänge über den Rhein zu schicken und am anderen Ufer ankommen zu lassen. Und auch Klänge aus der Tiefe des Flusses auftauchen zu lassen. Nicht in der Lautstärke einer realen Beschallung sondern eher als eine Erscheinung, die echt sein kann oder auch nicht. Auf beiden Ufern kommen so “romantisch” gefärbte Klänge an, die aber auch z.B. elektromagnetischen Ursprungs sein können. In Wien hatte ich kürzlich bei der dortigen Telecom Austria die Genehmigung, in den unterirdischen Serverräumen magnetische Felder aufzunehmen. Einige davon klangen tatsächlich wie Sirenen. Ich werde sie vielleicht an den Rhein holen und vor dem Post Tower singen lassen.

Und abschliessend eine Bitte an meine Blog-Leser: ich suche eine gebrauchte alte Angel, um meine Hydrophone auszuwerfen, ohne Zubehör natürlich. Es ist egal, wie sie aussieht, und ob sie zum Angeln taugt, Hauptsache, sie hält noch.