Anfang Mai 2013

Mein Aufenthalt in Bonn beginnt am 30 April. Bonn und die Künstlerwohnung kenne ich schon oberflächlich durch eine mehrtägige Vorbesichtigung im Februar mit Carsten Seiffarth. Ich habe einen großen Koffer dabei, nicht mehr. Als Dauerreisende versuche ich, möglichst wenig Ballast mitzuschleppen und lieber vor Ort Dinge anzuschaffen, falls diese notwendig sind.
Mein Thema ist Klangkunst und Landschaft. Ein Thema, das mich bei der Anfrage sofort begeistert hat. Landschaft kommt in vielen meiner Arbeiten vor. Ich weiß, daß die Landschaft am Rhein, in und um Bonn, schön sein soll. Ich habe ein Forschungsstipendium, daß es mir erlaubt, hörwandernd zu forschen. Man schenkt mir Zeit. Jedenfalls am Anfang…
Aber wie ist die Landschaft in und um Bonn eigentlich? Ich kenne nichts und weiß nichts. ich habe nichts gegoogelt und komme mit einem möglichst naivem Blick und Ohr nach Plittersdorf.
Am 1. Mai sitze ich morgens am Rhein und schaue mir die Schiffe an, die wie auf einer Autobahn dicht hintereinander oder gegeneinander vorbei fahren.

Ich nehme mir vor, oft am Ufer zu sitzen und Schiffe zu zählen. Wie die Situationisten in Paris, die die vorbeifahrenden Autos und Busse gezählt haben. Nur ist es einfacher, Busse zu beschreiben als all diese verschiedenen Schiffe. Ich merke, daß ich keine Ahnung von der Schifffahrt habe. Weder auf dem Rhein noch überhaupt.
Ich nehme die verschiedenen Klänge wahr: das leise Anschlagen der Wellen, die stärker werden wenn ein größeres Schiff vorbeifährt. Das leise Qietschen der Schiffsanleger, die Motorengeräusche der Schiffe.
Nach einiger Zeit bemerke ich, daß es eine Art Unterteilung der Wasserstraßen geben muß, Fahrrinnen, deren Tiefe und Zweck mir unbekannt sind. Immer mehr wird mir bewusst, daß da ein großes System an Bewegungen auf dem Wasser vor sich geht, das ganz eigenen Gesetzen folgt. Ich sehe Frachtschiffe, Ausflugsschiffe, Fähren, Motorboote, Paddelboote, Ruderboote, Linienschiffe. Alle klingen anders, sind aber je nach der Entfernung von meinem Ort am Ufer auch verschieden stark zu hören.
Wie klingen sie vom anderen Ufer aus?
1. Mai früher Nachmittag: ich setze mit der Fähre über nach Niederdollendorf und fahre mit dem Rad nach Königswinter. Ströme von Menschen aller Nationalitäten bewegen sich gleichzeitig zur Abfahrtsstelle der Drachenfelsbahn, mit der auch ich auf den Berg fahren will. Der Andrang im Gebäude ist unglaublich. Endlose Schlangen von Menschen stehen da und warten auf die Zahnradbahn. Ich beschließe, lieber doch zu Fuß zu gehen, komme aber vor lauter Menschen kaum dazu, etwas von der Landschaft zu sehen und muß aufpassen, nicht umgerannt zu werden. Was ist los in Bonn? Ist das hier immer so?
Irgendwann gebe ich nach, vergesse meine individualistischen Ansprüche und werde zum Teil des großen Menschenstromes, der sich glücklich nach oben und auf der anderen Seite des Weges wieder nach unten schiebt.
Der Blick von der wie ein Amphitheater wirkenden voll besetzten Panoramaterasse am Drachenfelsen auf den Rhein macht mich glücklich wie alle anderen anscheinend auch. Die Sonne scheint, man hört unendlich viele verschiedene Sprachen, KInder spielen um mich herum, verliebte Paare schauen in die Ferne und das Picknick wird ausgepackt. Das also ist die Rheinromantik.

Zurück gehe ich durch das Nachtigallental und höre andächtig dem vielfältigem Bachlauf zu. Alles passt zusammen, für kurze Zeit. Je mehr ich zum Tal zurückkomme, um so lauter wird dann bald das Rauschen der Autobahn und der Züge. Von Hifi zu Lowfi, wie es Murray Schaeffer bezeichnet, wenn die Klänge nicht mehr klar wahrnehmbar sind, weil ein Grundrauschen aus Verkehr und Stadtlärm sie überdeckt.
Am 2. Mai erwache ich von einem ungeheuren Krach, sehr früh am morgen. Eine große elektrische Rasenmähermaschine, so groß wie ein Traktor, mit einem kleinen Mann obendrauf, fährt über die viereckigen Raseninseln meiner Plittersdorfer Siedlung. Ein Geräusch wie auf einem Flughafen. Ständige An- und Abfahrten, Crescendi und Decrescendi. Es klingt wie ein verstärktes gefräßiges Monster im Urwald, aber es sieht leider nicht dementsprechend aus.

Anmerkungen zur Wahrnehmung des Rheins in den folgenden Tagen:
Einen Fluß kann man nicht so schnell entfernen, verlegen, bedecken, ausgraben oder zuschütten wie einen Wald, Wiese oder einen Teich.
Ein Fluß hat bessere Chancen – wenn auch nicht unbedingt gute – als Teil einer Landschaft relativ gleichbleibend zu bestehen. Jedenfalls visuell. Was verändert sich hingegen am Rand, an den Ufern des Stromes? Unter der Wasseroberfläche? Auf der Wasseroberfläche? Gibt es eine Landschaft unter dem Wasser? Soll ich mit einem Taucher zusammenarbeiten? Unterwassermikrofone anschaffen?
Auf jeden Fall: mein Thema wird die Rheinlandschaft sein, Bonn und sein Fluß.
Abends sitze ich oft noch am Ufer. Der Ausblick nachts auf das Wasser des Rheins in Plittersdorf ist bemerkenswert. Man sieht nur die Laternen auf der anderen Seite, die sich im dunklen Wasser spiegeln. Ich höre ein ständiges Dröhnen, wie ein Subwoofer, den man vergessen hat auszustellen. Plötzlich schwillt das Geräusch an, es wird zu dem eine Zuges. Der Zug fährt direkt und sehr laut am gegenüberliegendem Ufer vorbei, aber ich sehe ihn nicht. Ich höre ihn nur. Vielleicht ein sich bewegender Schatten. Es kommt ein zweiter Zug hinterher. Dann ein anderes Geräusch, angeführt von zwei gleichbleibend entfernten Lichtern,Signallampen auf dem Schiff, rot und weiß. Ein sanftes Motorengeräusch, das stärker wird, wenn sich das Schiff wieder entfernt. Es scheint erst aufzutauchen, wenn sich die Lichter schon wieder entfernen. Die ganze Zeit feine gleichbleibende Wassergeräusche vom Ufer. Absolute Nähe und großartige Weite von Klängen gleichzeitig. Kann man das als akustische Landschaft bezeichnen?
Wie kann man die räumlichen Bezüge in der Landschaft anhand von Klängen untersuchen?