Am Morgen vor dem Installationsaufbau bekomme ich in Plittersdorf ein Ständchen der vom Rasenmäherteam zum Laubbläserensemble mutierten Grünpfleger. Der Laubchef sitzt auf einem hin- und herheulenden grünen Gefährt (wahrscheinlich ein Umbau des sommerlichen Mähfahrzeuges) und sein mit kolbenförmigen elektrischen Pustern bewaffnetes Gefolge entsorgt die bunte Herbstpracht auf dem Boden bis auf das letzte Blättchen. Ein langes lautes intensives Herbstkonzert.
Nie war mir früher aufgefallen, wieviele Blätter da so im Oktober plötzlich runterkommen. Sie haben auch auf meine Installation einen gewissen Einfluß, aber das weiß ich zum Glück an diesem Morgen noch nicht.
Montag: die Straßenbaumeister sind mit der Hebebühne und einem weiteren Auto da, dick orange vermummelt. Sie frieren nicht, sondern ziehen sogar noch ihre Jacken aus. Mir ist von dem eisigen Wind unter der Konrad-Adenauer-Brücke nach kurzer Zeit kalt und das bleibt auch so.
Zuerst werden die drei goldfarben gefärbten großen Lautsprecher mithilfe des Steigers unter der Brücke befestigt, eine Präzisionsarbeit, die von Markus Oppenländer unglaublich genau vorbereitet wurde. Jede Schraube, jede Halterung passt genau. Ich muß von unten die richtige Position und Ausrichtung der Lautsprecher kontrollieren. Eckehard Güther verlegt Kabel und baut das audio equipment auf. Eine unbequeme Arbeit, bei der man teilweise auf dem Boden liegend arbeiten muß, umgeben vom Brückenlärm. Die Geräusche der Autos, die über unseren Köpfen über die Dehnungsfuge fahren, verstärken sich im Inneren der Metallkonstruktion zu einem intensiven Donnern. Ab und zu kommt die Straßenbahn dazu, dann muß man sich die Ohren zuhalten und kann sich nur brüllend verständigen. Ich versuche, im Inneren der Brücke Tonaufnahmen zu machen und lasse die Mikrofone und Rekorder an verschiedenen Stellen einfach für längere Zeiträume stehen.
Mittags ist alles am seinem Platz, außen und innen. Nach einer kurzen Pause beginnt für E. und mich der sound check. Wir sitzen unter der Brücke und hören die für diesen Ort komponierten Klänge an, immer wieder, lauter und leiser, mit verschiedenen Filterungen, neuen Zusammenstellungen und Reihenfolgen. Live Komposition vor Ort, ohne die es absolut nicht geht bei einer Arbeit im Außenraum. Zeitweise gibt es Windböen, die Blätter rascheln und rauschen so lautstark, daß sie “meine” Klänge verdecken. Dann ist es plötzlich wieder windstill und alles erscheint zu laut. Bestimmte Eigenresonanzen der Brücke kollidieren mit denen der eingespielten Klänge, andere Klangflächen passen atmosphärisch nicht so zum Ort, wie ich es mir im Studio vorgestellt hatte.
Ecki Güther ist geduldiger als ich, auch im Detail noch kritischer, die Tests beginnen immer wieder von vorne. Ich habe die Nase voll, ich friere immer mehr, ich beginne ungehalten zu werden. Aber es hilft nichts, schließlich ist der Außenraum nun mal ein lebendiger Organismus und flexibler wechselhafter Raum, für den es keine vorgegebene Lösung gibt. Man kann sich nur annähern, hören, die wechselnden Atmosphären aufnehmen, sich einfühlen. Es geht nicht um Beschallung sondern darum, Klang und Landschaft zu einer Einheit zu führen, miteinander zu integrieren.
Nachts arbeiten wir am Computer weiter an den Klängen, in der Hoffnung, daß die Änderungen sich am Standort bewähren. Es kann nur besser werden.
Der Dienstag ist der Arbeit am Anleger Bundeshaus gewidmet. Zu viert (Markus, Anne Dore, Eckehard und ich) arbeiten wir an, über und fast auch im Wasser. Es gilt, die Position der Hydrophone, die wir in der Woche vorher schon mit Schläuchen und Gewichten auf ihre Funktionsfähigkeit präpariert und getestet hatten, genau zu ermitteln. Die Lautsprecher in den wetterfesten Metallkästen an der Steinwand der Uferpromenade zu verankern, die Technik unterzubringen, Informationsschilder zu befestigen und vor allem: Hören, Hören, Hören. Auf dieser Rheinseite wirken “meine” Klänge ganz anders, weil das gesamte Umfeld hier anders klingt. Also auch hier wegnehmen, zufügen, Klangfarben ändern, Dauern neu entscheiden etc.
Die live übertragenen Unterwassergeräusche der vorbeifahrenden Schiffe haben sehr unterschiedliche rhythmische Strukturen und eine stark wechselnde Intensität. Aber selbst wenn man kein Schiff sieht, hört man das Netz der akustischen Bewegungen unter der Wasseroberfläche die ganze Zeit. Erst spät am Abend wird es ruhiger im Rhein.
Abends wird am Computer weitergearbeitet, diesmal für die rechte Rheinseite.
Mittwoch: die freundlichen Männer in Orange erlauben uns, noch einige Stunden im Brückeninneren zuzubringen und weitere akustische Tests und Neueinspielungen zu machen. Diesmal bin ich auch dick vermummt, höre aber deswegen nicht mehr so gut und muß die Kopfbedeckung gleich wieder ablegen. Es gibt interessante Gespräche mit dem Steiger und seinem Kollegen über Frequenzen im Inneren des Brückenraumes, die Geräusche des Verkehrs zu verschiedenen Tages- und Nachtzeiten und einen Vorschlag, wie man die Kinder der nahegelegenen Verkehrsschule hierher bringen könnte. Am frühen Nachmittag schlägt die Tür zum Brückeneingang unwiederbringlich zu! Jetzt kann man nichts mehr ändern. Irgendwie bin ich erleichtert, man könnte dort wohl noch Wochen zubringen ohne hundertprozentig zufrieden zu sein.
Am Bundesanleger ist die Arbeit auch schon weitergegangen, wir können jetzt die Unterwassermikrofone direkt am Ponton fest installieren und anhören und das Verhältnis zwischen direkt übertragenem Klang und Zuspiel neu einpegeln. Wir befreien die Hydrophone von den auf der Wasseroberfläche schwimmenden Blättern. Der starke Wind ist nicht nur hörbar sondern beeinflusst auch die Position der Mikrofone – die Blätter lassen das Hydrophon an die Wasseroberfläche treiben und plötzlich hört man mehr Wasserstrudel und Wassergurgeln statt Schiffsmotoren.
Klanginstallation im Außenraum. Warum tut man sich das eigentlich an?
Am Donnerstag wird die letzte Feinarbeit und Klangregulierung gemacht. Dann mittags die Pressekonferenz. Das ist der erste Härtetest und ich finde, die Arbeit besteht ihn ganz gut. Es ist schönes Wetter, fast windstill, man kann vertraute und neue Geräusche und Klänge entdecken, den romantischen Rheinblick und die stets befahrenen Wasserstraße anders als sonst wahrnehmen, Gespräche führen und sich darüber austauschen, wie sehr Klang unsere Wahrnehmung verändern kann.
Dann geht es weiter mit der Installationsarbeit, nochmal Hören, die letzten Schrauben einsetzen, Blätterforschung am Ponton, Fotos und Tonaufnahmen für die Dokumentation machen.
Es beginnt zu regnen, der Wind nervt, plötzlich geht nichts mehr. Wir wärmen uns mit Kaffee vom nahem Kiosk, der Betreiber kennt uns schon und legt die Einladungskarten neben den Süßigkeiten aus.
Abends stehen wir im Dunkeln am Rhein und plötzlich stimmt dann doch alles wieder. Oder fast. Eine Idee ist plötzlich Realität geworden, hat sich verselbstständigt, ein Eigenleben bekommen.
Freitag morgen regnet es stark, Markus und Ecki bauen zwei Zelte für die Besucher auf, reinigen nochmal die Hydrofone und ich bin unendlich nervös, wie immer vor einer Eröffnung. Aber der Rheingott ist gnädig, die Sonne kommt durch, der Sturm wartet noch ein bißchen.
Plötzlich sind da lauter Menschen, meine Installation gehört nun der Öffentlichkeit und soll mindestens ein Jahr halten. Es gibt gleich mehrere Reden, Danksagungen, Sekt, Häppchen. Freunde kommen auch von weiter her. Meine ehemaligen Studenten aus Saarbrücken schicken einen Vertreter mit einem Blumenstrauß. Ich schwirre herum und rede und erkläre und freue mich über jedes Schiff, daß vorbeifährt.
Alles paletti, erstmal für diesen Abend.
Samstag. In der Nacht beginnt es zu stürmen. Die Installation muß am Tag danach noch einmal angehört und nachgeregelt werden, besonders die Lautstärken. Neue Entscheidungen. Und es gibt immer mehr Blätter, die sich ansammeln. Die Lautsprecher sind schon halb verborgen, ich hatte keine Ahnung, wie stark die Natur beim Laubabwerfen ist. Jetzt hätte ich gerne täglich die Laubbläsertruppe hier, das würde auch interessante neue Klangkonstellationen ergeben: Schiffe aus dem Rhein, Motoren aus den Rohren, instrumentale Schwebungen aus den Lautsprechern und dazu noch eine Prise Hochwasser…
Die Rheinklänge vom Rhein und die Klänge für den Rhein werden eben immer anders zu erleben sein.