meine atelierwohnung liegt in plittersdorf, stadtteil bad godesberg, ca. 250 m luftlinie vom rhein entfernt. die lautsphaere ist beinahe idyllisch und doerflich.
nur die (wochen-) taeglichen ca. 200 gueterzuege auf der rechtsrheinischen eisenbahnstrecke schieben im schnitt alle 7 minuten einen grossen rauschschleier ueber das wasser, rauschen den raum voll, selten laut und oft im duett mit dem rauschen der baeume. der doerfliche siedlungsraum ist ueberwiegend einstoeckig bebaut und ist durchmischt von kleinen sozialen wohnungsbauanlagen der 50er jahre, jahrhunderte alten haeusern im dorfkern und mit verschiedenen individuellen wohnhaeusern jungeren datums.
die lockere bebauungsstruktur gibt viel platz fuer baeume, straeucher und kleine gruenanlagen. das hat zur folge, dass neben dem interessanten windspiel, eine seit meiner kindheit von mir nicht mehr gehoerte vielfalt an vogelstimmen anzutreffen ist.
neben den obligaten sperlingen, amseln, tauben, schwalben und kraehen sind mir hier der baumpieper, die bachstelze, der buchfink, die singdrossel, die moenchsgrasmuecke, die kohlmeise, der eichelhaeher, die wildente und die nachtigall aufgefallen.
da es mir in meinem jetzigen verstaendnis zu bonn als eine qualitaet dieser stadt erscheint, es hier mit so vielen kleinen und verschiedenen nichturbanen strukturen zu tun zu haben – verstreut als ein dichtes muster ueber den ganzen stadtraum – moechte ich dies mit einer empfehlung zum persoenlichen aufsuchen eines dieser “reichen” hoerorte hier in meiner unmittelbaren umgebung belegen.
es handelt sich um den park haus carstanjen, leicht zu erreichen von der martin luther king strasse oder von der rheinpromenade aus… ein landschaftspark angelegt im jahre 1824 von sybille mertens. im angrenzenden schloss sind heute UN-organisationen untergebracht.
dieser park ist etwas besonderes, ein arboretum, ein baumgarten, mit seinen verschiedenartigen und so manchem exotischen gehoelz… alles offen und grosszuegig gesetzt, dicht und weitlaeufig zugleich, und sonntag nachmittags, bei schoenem wetter, nur vereinzelnd und verstreut von menschen genuetzt.
hier sich fuer eine halbe stunde niederzulassen und sich dem hoeren hinzugeben ist reine freude. nichts bedraengt hier mein ohr mit ausnahme des immer wiederkehrenden rauschmotivs der gueterzuege vom rechten rheinufer, die zwar fuer kurze zeit den raum klanglich dominieren, aber nicht ueberwaeltigen, mehr mich immer wieder daran erinnern, dass dieser ort inmitten einer sehr geschaeftigen welt liegt. dieses gefuehl erzeugen auch die klaenge der schiffahrt am rhein, aber anders. die zuege lassen sich sehr schwer in ihrer fahrtrichtung vom park aus hoeren… das angestrengte brummen und stampfen der grossen frachtkaehne bringt sich auf ihrem weg rheinaufwaerts zu gehoer.
das wunderbare hier ist die erfahrbare vielfalt im gleichen… visuell wie auditiv…
verschiedene baumarten sprechen verschieden im wind…
mein eigener schritt hoert sich anders an im gras, auf dem kiesweg, auf der asphaltierten promenade… eine vielzahl von verschiedenen vogelstimmen verteilt im ganzen park…
es laesst sich eine beziehung und wechselwirkung von baum/strauch- zu vogelart beobachtend hoeren.
wenn man sich vom park aus dem rhein naehert und dem treiben der menschen auf der uferpromenade zuhoert, entfaltet sich eine vielzahl von rhythmischen und klanglichen strukturen:
in den leichten oder schweren schritten von joggern…
im schreiten und sich unterhalten von spaziergaengern: verschiedenes schuhwerk, verschiedene sprachen…
im spielen, lachen und kreischen von kindern…
alle moeglichen varianten vorbeigleitender bis vorbeirasender fahrradklaenge…
das rhythmische geraeusch der skater…
rufe… hundbellen vom anderen rheinufer…
etc.etc.
steigt man von der uferpromenade hinunter zum rhein offenbaren sich nun wieder neue klaenge und rhytmische muster: …im sanften spiel der wellen… im eigenen schritt im uferkies… im kiesel schmeissen von kindern… im schlagen des wassers der ruderboote… in den grossen wellen, die ueberfallartig am ufer mit getoese entlangrauschen, ausgeloesst von schnellen, grossen stromabwaerts fahrenden passagierschiffen…
… im sich wieder beruhigen des ufers… im ausklingen…
dieser park und seine unmittelbare rheinuferumgebung sind ein idealer ort um sich im hoeren und hoerenden denken zu ueben… nichts zwingt hier zur gewohnten unbewussten haltung des nichthoerens… keine autos… keine grossen lautheiten im nahfeld… nahezu nie lautspraecherklaenge…
der raum bleibt immer gross, im auditiven wie im visuellen… behaelt tiefe und richtung… ist transparent und durchhoerbar…
sich mit stadtklang beschaeftigen heisst mehr ueber die klaenge der stadt und ihrer orte zu erfahren, ihre wirkungsweisen und zusammenhaenge verstehen zu lernen.
dieses beschaeftigen ist ein fortwaehrendes sich ueben im hoeren, zuhoeren und hoerendem denken. nur im eigenen hoeren entsteht hoererfahrung, ein persoenliches verstaendnis fuer das sprechen unserer lebensraeume…
mein literatur vorschlag ist diesmal:
Stadt hören/ Klangspaziergaenge durch Zürich von Andres Bosshard
2009 Verlag Neue Züricher Zeitung
“…….Grundlegend für die Qualität der Klänge ist das Hören der Stadt. Obwohl das auf den ersten Blick banal erscheint, entpuppt sich das – Hören der Stadt – als wahre Kunst.
Genauso wie das Lesen einer Stadt uns nicht nur bei der Orientierung auf unseren täglichen Wegen durch den Stadtraum hilft, bietet das – Hören der Stadt – eine unglaubliche Fülle von Erfahrungen, Geschichten und an Wissen, die uns allen gehören.
Ich schlage Ihnen deshalb vor, einen Spaziergang in der Stadt zu unternehmen und ihr zuzuhören……”
so schreibt andres bosshard in seiner einleitung zu diesem buch. diese arbeit zeichnet sich durch genaue analyse und beschreibung der klanglichen zusammenhaenge von architektur und klangereigniss am beispiel zuerichs aus, und ist eine einladung fuer eine bewusste gestaltung unserer auditiven urbanen lebensraeume.